Interview mit Ärztlichem Direktor: Sechs Monate mit Corona

23.09.2020

Unser Ärztlicher Direktor Dr. Peter Schott zu sechs Monaten Leben mit Corona im Interview.

Vor einem halben Jahr sorgte die Furcht vor dem Covid-19-Virus für den Lockdown auch im Werra-Meißner-Kreis. Was hat sich in dieser Zeit geändert – im Negativen als auch im Positiven?

Peter Schott: Nicht die Furcht vor Covid, sondern eine klar definierte Bedrohung durch das Virus führte zum Lockdown im Werra-Meißner-Kreis. Dank dieses Lockdowns starben lediglich 16 Patienten an Covid in unseren Krankenhäusern trotz der durchgeführten stationären Therapie. Bei über 70 Patienten musste aufgrund einer schweren Covid-Infektion eine stationäre Therapie durchgeführt werden. Zahlreiche dieser Patienten haben jetzt noch mit den Folgen der Erkrankung zu kämpfen. Ohne Lockdown wäre es wahrscheinlich wie in den umliegenden europäischen Ländern zu Engpässen in der stationären Versorgung mit deutlich höheren Todeszahlen gekommen.

An positiven Effekten kann ich durch die Covid-Pandemie lediglich feststellen, dass die deutschen Krankenhäuser offensichtlich deutlich leistungsfähiger sind als die unserer europäischen Freunde. Entsprechend ist es aus meiner Sicht überaus negativ zu bewerten, dass wir in Deutschland nicht deutlich mehr Patienten aus europäischen Ländern behandelt haben, deren Systeme kollabiert waren. Wir hätten wahrscheinlich deutlich mehr Menschen das Leben retten können, wenn es hier früher eine strukturierte Verteilung kritisch erkrankter Patienten aus Italien, Spanien, Frankreich etc. gegeben hätte. Hoffentlich wird das in den nächsten Monaten besser gemacht.


Was war in den zurückliegenden sechs Monaten Ihre größte Sorge, was Ihre wichtigste Erkenntnis?

Schott: Die größte Sorge bestand in den ersten Wochen aufgrund der Hochrechnungen an zu erwartenden Intensivpatienten im Werra-Meißner-Kreis, dass wir ähnlich katastrophale Situationen erleben müssen wie unsere südlichen Nachbarn. Trotz Mobilisation sämtlicher apparativer und personeller Ressourcen hätten wir ohne Lockdown nur einen Bruchteil der erkrankten Patienten auf den Intensivstationen versorgen können. Dank des Lockdowns wurde dies verhindert und wir konnten die Anzahl der stationären Fälle gut versorgen.


Eine große Sorge ist und war stets die Sicherheit des Personals. Weltweit sind zahlreiche Krankenschwestern, Pfleger und ärztliches Personal durch eine während der Arbeit erworbene Infektion zu Tode gekommen. Daher war es für uns absolut entscheidend, funktionierende Hygienekonzepte auf den Stationen mit ausreichender Schutzausrüstung und ausreichender Schulung des Personals sicherzustellen, um Infektionen zu vermeiden. Dennoch haben sich Mitarbeiter des Klinikums mit Covid infiziert, in einigen Fällen können wir eine Infektion während der Arbeit nicht sicher ausschließen. Zum Glück gab es unter den Mitarbeitern keine sehr schweren Verläufe.

Die wichtigsten Erkenntnisse sind ja immer relativ. Eine wichtige Erkenntnis ist, dass man als Krankenhausleitung in solchen Krisensituation manchmal stündlich neue Entscheidungen treffen muss und Konzepte stets kritisch evaluieren muss. Wir konnten uns zwar am „Pandemieplan“ des Werra-Meißner Kreises orientieren, haben aber ziemlich schnell erkannt, dass das Virus ein überaus hinterlistiger Gegner ist. Zum Beispiel haben wir relativ schnell lernen müssen, dass wir aufgrund vieler atypischer Verläufe eigentlich kaum einschätzen können, ob eine Covid-Infektion vorliegt oder nicht. Entsprechend haben wir recht schnell begonnen, jeden Patienten im Krankenhaus auf Covid zu testen, auch wenn er keine typischen Beschwerden hatte, um Infektionsketten im Krankenhaus zu verhindern. Bisher hat sich das sehr bewährt.


Wagen Sie eine Einschätzung? Kehren wir demnächst wieder zur „alten“ Normalität zurück oder müssen wir uns auf dauerhafte Veränderungen im Alltag einstellen?

Schott: Ich fürchte, dass es im gesellschaftlichen Leben noch lange dauern wird, bis wir wieder zur „alten“ Normalität zurückkehren können. Warten wir mal die Ergebnisse der Impfstoffentwicklung ab. Das Virus scheint keine saisonalen Verläufe wie die Influenza zu haben und wird uns daher dauerhaft beschäftigen. Für die Krankenhäuser wird es kein Zurück zur alten Normalität geben können.

Unter den momentanen räumlichen Strukturen in den Krankenhäusern mit wenig Isolierstationen und kaum Einzelbettzimmern werden wir wahrscheinlich noch mehrere Jahre nicht in der Lage sein, so viele Patienten wie bisher zu versorgen, da wir durch unsere neuen Hygienemaßnahme erheblich an Bettenkapazitäten einbüßen müssen. Hier ist die Gesundheitspolitik gefordert, neue Konzeptionen der stationären Krankenhausversorgung zum Beispiel durch bauliche Konzepte unter Berücksichtigung der neuen Hygiene-Voraussetzungen zu entwickeln und umzusetzen. Auch im Werra-Meißner-Kreis sind wir da durch die vorhandenen Gebäudestrukturen diesbezüglich limitiert.


Worauf sollten wir derzeit besonders achten, da der Werra-Meißner-Kreis von einem deutlichen Anstieg bei den Neuinfektionen mit Corona offenbar verschont wird?

Schott: Wir sollten die bisherige Disziplin bei den allgemeinen Maßnahmen wie Mund-Nasen-Schutz, Abstandsregelung, Händedesinfektion und -waschen weiterhin konsequent einhalten. Wahrscheinlich wird es in den nächsten Wochen aufgrund der aktuellen Entwicklungen in den Großstädten auch im Werra-Meißner Kreis wieder zu einem deutlichen Anstieg der Infektionszahlen kommen. Ganz besonders entscheidend wir es dann sein, dass es uns gelingt, die Menschen mit einem hohen Risiko besonders zu schützen.

Datenschutzhinweis

Um unsere Website zu verbessern und Ihnen ein großartiges Website-Erlebnis zu bieten, nutzen wir auf unserer Seite Cookies und Trackingmethoden. In den Privatsphäre-Einstellungen können Sie einsehen, welche Dienste wir einsetzen und jederzeit, auch durch nachträgliche Änderung der Einstellungen, selbst entscheiden, ob und inwieweit Sie diesen zustimmen möchten.
Notwendige Cookies werden immer geladen